Die Idee der Resonanz – Update Juni 2020 zum Beitrag im kuratierten Dossier
Zur Rolle von Organisation und Führung für die Ermöglichung von New Work
Als ich im Juli letzten Jahres über meinen Aufsatz „Die Idee der Resonanz. Zur Rolle von Organisation und Führung für die Ermöglichung von New Work“ für das kuratierte Dossier „Gestaltung der Arbeit in der Zukunft“ nachgedacht habe, konnte ich mir nicht vorstellen, wie rasch mit Covid-19 diese aus einer komfortablen, theoretisch distanzierten Warte heraus betrachtete Zukunft zu einer aufdringlichen Gegenwart werden würde.
Die damals beschriebenen Aspekte so genannter New Work, nämlich Virtualisierung, Flexibilisierung, hohe Dynamisierung im permanent beta und die daraus resultierende wachsende wahrgenommene Komplexität treffen uns auf individueller, organisationaler und gesellschaftlicher, ja tatsächlich globaler Ebene nun mit voller Wucht. Und seien wir ehrlich! Es ist kein rundum freudiger Aufbruch in die noch vor wenigen Monaten so verheißungsvoll erschienene Zukunft der Arbeit. Noch (?) überwiegen Gefühle der Unsicherheit, der Überforderung, ja, der Ablehnung oder Negierung dieser gewandelten Realität.
Was sich aktuell gut beobachten lässt, ist, wie wichtig trotz aller in den letzten Jahren gepriesenen Agilität die stabilisierende Wirkung der Organisation als System ist – und darunter verstehe ich nun im weitesten Sinne auch Gesellschaft. Die organisationale Ambidextrie lässt sich nicht mehr, wie in meinem Aufsatz beschrieben, entweder strukturell oder kontextuell beherrschen, vielmehr hat sie sich in weiten Bereichen unseres beruflichen, aber auch privaten Lebens verstetigt. Sie wird uns kontinuierlich abverlangt, weil wir uns in einer latent instabilen Situation befinden. Der lauter werdende Ruf nach Perspektiven im Sinne von möglichst konkreten Planungshorizonten und dem diesen gegenüberstehenden von vielen Entscheidern beschworenen ‚Fahren auf Sicht‘ zeigt den Konflikt der Ambidextrie sehr deutlich: der Wunsch nach Orientierung und Stabilität und das Eingeständnis, dass noch nie „soviel Wissen über unser Nichtwissen“ war (Jürgen Habermas in einem aktuellen Interview). Dort, wo dieser Konflikt, wo dieses Nicht-Wissen nicht mehr auszuhalten ist, entstehen Verschwörungstheorien. Diese zeigen vermeintliche Muster auf und erlösen uns scheinbar von der Last des Ungewissen.
Doch kommen wir zurück auf das eigentliche Thema meines Aufsatzes: die Rolle der Organisation und der Führung. Zitat ebd.: „Der Zustand eines Permanent Beta bedeutet Unsicherheit nicht nur zu tolerieren, sondern produktiv mit ihr umzugehen und sich dabei kontinuierlich zu entwickeln. Letzteres bedeutet, kontinuierlich zu lernen. Das Konzept einer Lernenden Organisation ist in den Zeiten von New Work aktueller denn je.“ Das Konzept einer Lernende Organisation oder eines lernenden Systems ist gesamtgesellschaftlich aktueller denn je. Was werden wir lernen aus dieser Krise? Wird es uns gelingen, uns mit dem Erlebten konstruktiv und sachlich auseinanderzusetzen? Ehrliche Erkenntnisse zu gewinnen?
Hinsichtlich der Rolle der Führung gehe ich in meinem Aufsatz auf das PEP-Konzept von Franz Kühmayer ein: purpose, education, participation. Gerade bei zunehmender Fragmentierung im home office, bei unsicheren Rahmenbedingungen ist das Erzeugen eines Sinns, der als solcher wahrgenommen wird, wesentlich. Education unterstützt alle dabei, sich Fähigkeiten anzueignen, die nun notwendig geworden sind (angefangen bei den allgegenwärtigen Konferenz-Tools bis hin zu tiefer gehenden Fähigkeiten wie Resilienz). Participation? Nicht nur in der Politik, auch in Organisationen scheint in Krisenzeiten die ‚Stunde der Exekutive‘ gekommen zu sein. Das ist im Sinne schneller Entscheidungen bei mehr als unsicherer Entscheidungsgrundlage sicherlich auch richtig. Nicht aber mittel- und langfristig, wenn wir an das nachhaltige Lernen denken. Denn die Deutungshoheit über eine komplexe Welt kann nicht bei wenigen liegen, sie braucht Diversität und Mehrstimmigkeit. Die Kunst besteht darin, diese situativ zu ermöglichen.
Was bleibt von meiner abschließenden Idee der Resonanz? Ich denke, de facto erleben wir aktuell genau das. Zitat: „Eine Organisation wäre dann permanent emergent, d.h. sie würde sich kontinuierlich konstituieren und zwar nicht in einem teleologischen Sinne als zielgerichtetes Gestalten einiger weniger so genannter Entscheider, sondern in Resonanz auf sowohl interne als auch externe Stimuli.“ Tatsächlich sind wir aktuell gezwungen uns kontinuierlich neu zu konstituieren in Reaktion auf übermächtige externe Stimuli. Das Problem dabei ist, dass wir zu stark in Schwingungen versetzt werden und es außerdem noch nicht gelernt haben, diesen Zustand eines permanent beta als inhärent zu akzeptieren und nicht als widerständig und störend zu bekämpfen. Aber vielleicht lernen wir alle in den nächsten Jahren ja genau, uns auf eine Wirklichkeit einzulassen, in der alles im Fluss ist.
Den zugrunde liegenden Originalbeitrag der Autorin finden Sie im „Kuratierten Dossier Gestaltung der Arbeit in der Zukunft“, das von der Fachgruppe Digitale Transformationsprozesse im November 2019 im Rahmen des GfWM KnowledgeCamps #gkc19 in Berlin veröffentlicht wurde.
Das kuratierte Dossier wurde in limitierter gedruckter Auflage und als Online-Publikation veröffentlicht.
Download und online blättern (WeBlog-Beitrag zur Veröffentlichung)
Informationen und Hintergrund zur GfWM Fachgruppe Digitale Transformationsprozesse
Ansprechpartnerin der Fachgruppe: Tanja Krins, Kontakt