Die Gesellschaft für Wissensmanagement war zu Gast bei The Dark Horse am 12. März 2015 in Berlin
Wieder ein Highlight der Berliner Regionalgruppe: The Dark Horse gibt uns einen Einblick in ein hierarchiefreies Unternehmen.
Die Agentur und Innovationsberatung „The Dark Horse“ wurde 2010 gegründet. Und zwar von 30 Gründern (!). Allerdings wusste man, worauf man sich einließ: Fast alle hatten vorher am Hasso Plattner Institut studiert und dort ihr fachliches Rüstzeug mitbekommen. Man kannte sich also. Dass fast der gesamte Jahrgang kollektiv ein Unternehmen gründet, dürfte dennoch an sich schon ein ziemlich einmaliger Vorgang sein. Er zeigt, dass zum gegenseitigen Kennen auch ein hohes Maß gegenseitger Wertschätzung vorgelegen hat. Und noch eine weitere gemeinsame Bande gab es: Nämlich die Begeisterung für Design Thinking – damals noch kaum bekannt – und der geteilte Wunsch, den inspirierenden und flexiblen Arbeitsstil am HPI auch im Job weiter leben zu können.
So entstand „The Dark Horse“ – eine Anspielung auf das unbekannte unterschätzte Pferd, das dann den Sieg davon trägt. Trotz des zunehmend hipper werdenden Produktes (Durchführung und Beratung von Innovationsprojekten im Rahmen der Digitalisierung) war aller Anfang schwer, der trotz der ersten Aufträge allen Beteiligten auch ein gehöriges Maß an Altruismus abverlangte.
Was sich inzwischen aber entwickelt hat, ist ein Unternehmen, das sich nicht nur seine Aufträge aussuchen kann, sondern für seine gesamte Arbeitsgestaltung auch mit dem New Work Award ausgezeichnet wurde. Grund genug für die Gesellschaft für Wissensmanagement im Rahmen eines Treffens der Regionalgruppe Berlin einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Und die haben es in sich. Nicht nur, weil das gesamte Interieur allein schon architektonisch ein beeindruckendes Beispiel für raumgewordene Startup-Kultur darstellt, sondern vor allem, weil das System der soziokratischen Unternehmensorganisation mit fast allen Managementkonventionen bricht, die im Kontext von Strukturbildung und Hierarchie geläufig sind.
Hier einige Eckpunkte, die einen Eindruck davon vermitteln mögen:
Es gibt keine Chefs. Alle sind Chef. Jeder ist Mit-Unternehmer. Alle Entscheidungen werden untereinander auf Augenhöhe getroffen.
Jeder ist verpflichtet an den 2tägigen Strategietagungen teilzunehmen, die alle 3 Monate stattfinden. Hierauf wird größter Wert gelegt, denn hier werden die Leitlinien des Unternehmens festgelegt.
Dort kann jeder Mitarbeiter Themen, Fragen und Kritik einbringen. Vor allem aber werden stets konkrete Vorschläge erwartet.
Angestrebt wird grundsätzlich ein Konsens entlang der Frage: „Kann ich damit leben?“ – „bis auf weiteres“ möchte man hinzufügen. Denn der Anspruch einer dauerhaften Lösung wird gar nicht erst angestrebt. Was plausibel scheint wird ausprobiert – bis was noch Besseres vorgeschlagen wird. Es geht also nicht um die Frage „Wie finde ich das?“ oder „Bin ich dafür?“ Kriterium für den Konsens ist nur, ob ich damit leben kann.
Sollte es vorkommen, dass ein Kollege sagt, dass er mit einem Vorschlag nicht leben kann, zieht er die Notbremse: Jeder hat ein Vetorecht. Wer das tut, verpflichtet sich, bis zum nächsten Mal selbst einen besseren Vorschlag zu machen.
Damit die Kommunikation nicht ausufert, gibt es ein sog. Service Team. Dieses Service Team organisiert die Besprechungen und moderiert. Dabei werden grundsätzlich drei Phase unterschieden: Informationsrunde, Meinungsrunde und Entscheidungsrunde. Und das in Summe in einer halben Stunde pro Thema. Übrigens wechselt das Service Team jeden Monat.
Es gibt noch eine Reihe weiterer übergreifender Kommunikationsforen jenseits des Projektgeschäfts. So findet jeden Montag ein Jour Fixe statt und jeden Donnerstag ein Lernfrühstück. Die Teilnahme am Jour Fixe kann jeder von der Agenda abhängig machen. Wer nicht dabei ist, stimmt grundsätzlich zu.
Interessant ist auch der Failure Award, der einmal im Quartal für den größten Fehler verliehen wird. Und auch hier findet wichtige Kommunikation statt: Denn es treffen sich hier alle Kollegen und sprechen bis zu einem Tag lang über ihre Fehler. Dann erst wird der Award in Form eines Wander-Raclettegeräts verliehen. Lessons Learned – Aufbereitung par excellence! Und nebenbei auch eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme.
Auch die sog. Hard Facts wurden unkonventionell geregelt: Jeder Mitarbeiter ist Kommanditist und damit Miteigentümer und de jure selbstständiger Mitunternehmer. Dafür ist jeder auch für den Erfolg verantwortlich und muss Projekte akquirieren. Wer einen Auftrag an Land zieht, schreibt den intern aus. Andere können sich darauf bewerben. Meist kommt auf diese Weise ein Team von 4 bis 5 Leuten zusammen, das dann den Auftrag abarbeitet.
Der Umsatz eines Auftrages geht zum größeren Anteil an die gesamte Gruppe der Kommanditisten. Ein kleinerer Teil wird innerhalb des Teams, das den Auftrag bearbeitet, verteil – auch hier in Eigenregie. Die letztliche Durchführung der Verteilung besorgt der Steuerberater.
Und ja, es gibt auch ein internes Enterprise Social Network: Die meiste Kommunikation läuft über Yammer. In Yammer werden beispielsweise auch die Projekte ausgeschrieben.
Der Akquisiteur eines Projektes hat dabei das Vorkaufsrecht, kann das Projekt aber auch durch andere bearbeiten lassen. Das kommt durchaus auch vor. Die Kunden haben in der Regel damit kein Problem, weil sie sehr schnell merken, dass die gesamte Mannschaft untereinander sehr gut abgestimmt ist.
Soweit die Eckpunkte der Soziokratie-Organisation bei The Dark Horse. Wie man darauf kommt? Ganz einfach. Man wendet den Design-Thinking-Ansatz auf sich selbst an. Getreu dem Grundprinzip „Versetze Dich in die Perspektive Deines Kunden, fühle und denke wie er und entwickle Lösungsvorschläge, die ihm bestmöglich entgegenkommen (und vergiss dabei alle Konventionen)“ wurde die Frage diskutiert, was dem Bedürfnis eines Mitarbeiters bestmöglich entspricht.
Natürlich stand am Anfang auch bei diesem Thema eine Phase der Suche und der Inspiration aus ganz anderen Bereichen. So hatten die Gründer damals auch untersucht, wie Klöster es schaffen, trotz des hohen Maßes an Gemeinschaft und Gemeinschaftsgefühl dennoch ein ebenso hohes Maß an individueller Entfaltung zu ermöglichen.
Und in der Tat finden sich bei The Dark Horse Analogien des Kosters wider: So teilen sich alle Mitglieder in zwei Gruppen auf – die Mönche und die Pilger. Die Mönche sind die, die tatsächlich in der Firma tätig sind und Projekte bearbeiten. Die Pilger dagegen sind Kollegen, die jeweils für ein Jahr im Sinne ihrer persönlichen Weiterentwicklung andere Dinge tun. Dieses Konstrukt wiederum ermöglicht den Rückkehrern in ihrer nächsten Phase als Mönch das extern erworbene Wissen intern produktiv zu machen.
Auch die schnellen Iterationen der Verbesserung – ebenso ein Design-Thinking-Prinzip – setzen die grundsätzliche Akzeptanz von Fehlschlägen voraus. Der Failure Award ist daher kein verspielter Luxus, sondern ein genetisches Elementarteilchen des Gesamtgefüges.
Soweit der Versuch einer fragmentarischen Zusammenfassung über ein in sich sehr ausgefeiltes Gesamtkonstrukt, dessen Faszinosum sich auch im Fazit der Teilnehmer widerspiegelt: Toller Vortrag, beeindruckendes Unternehmen und viele wertvolle Anregungen für posthierarchisches Management! Das Spektakuläre ist das Unspektakuläre: Keine der einzelnen Maßnahmen ist für sich genommen eine Sensation, die noch nie da war. Viele Elemente hat man schon mal woanders gesehen. Umso erstaunlicher ist daher, wie einzigartig sich die Summe dieser Einzelmaßnahmen in der über die Jahre perfektionierten Gesamtkonstellation darstellt.
Bleibt zu hoffen, dass The Dark Horse diesen Weg weiterhin mit dieser Konsequenz beschreitet, damit die möglichst viele Unternehmen an diesem Beispiel lernen können, welche Potenziale eine Arbeitswelt entfalten kann, die den Mitarbeiter in ein organisationales System einbindet, das auf ihn und seine Leistung zugeschnitten ist.