Brexit, Führung, Wissen und Entscheidungen
Vielleicht ist es dem einen oder anderen in den letzten Wochen vor dem Brexit-Referendum gegangen wie mir: die Prognosen standen 50/50 aber trotzdem hat man sich nicht vorstellen können, das die Bevölkerung Großbritanniens für den Austritt aus der EU stimmt. Doch jetzt ist es passiert und einer meiner Tweets dazu war:
Lessons Learned: basisdemokratische Entscheidung bei komplexen Problemen = keine gute Idee. #brexit
— Simon Dueckert (@SimonDueckert) June 26, 2016
Wie komme ich zu dieser Einsicht? Prinzipiell sind doch von Mehrheiten getragene Entscheidungen keine schlechte Sache? Eine der Kernaufgaben von Management und Führung ist das Treffen von Entscheidungen. Der Psychloge Kurt Lewin unterschied die drei prinzipielle Führungsstile autoritär (Führungskraft entscheidet und gibt Anweisungen), partizipativ (Führungskraft beteiligt und entscheidet) und Laissez-faire (Führungskraft lässt laufen). Den Brexit-Fall kann man als eine Extremform des partizipativen Führungsstils eines Landes betrachten: Führungskraft beteiligt und übernimmt die Entscheidung.
In zwei zwei regelmäßig von mir gehörten Podcasts (HR2 Der Tag – Volle Kraft wohin? Manövrieren in Europa und SWR2 Forum – Großbritannien hat entschieden) wird ein Schlüsselproblem bei der Entscheidungsfindung genannt: KOMPLEXITÄT. In HR2 wird die parallele zur Ausbildung von Schiffskapitänen gezogen. In kritischen Situationen wird eine Kapitän mit entsprechenden Befugnissen und Verantwortungen benötigt, der sich aber über einen Beraterstab entsprechende Meinungen, Erfahrungen und Wissen einholt und diese in seine Entscheidung einbezieht. Ziel ist, eine fundiertere Entscheidung in Bezug auf die Ziele des Gesamtvorhabens treffen zu können.
Theorien wie beispielsweise Wisdom of the Crowds gehen davon aus, dass das Mittel vieler diverser Meinungen zum optimalen Entscheidungsergebnis führt. Sie geht aber auch davon aus, dass die Meinungen unabhängig voneinander sind, wie z.B. im von Surowiecki geschilderten Fall der Gewichtsschätzung auf dem Viehmarkt. Bei so einem medial präsenten Thema wie dem Brexit kann aber nicht von unabhängigen Meinungen ausgegangen werden. Es bedarf eines Prozesses, der Meinungen in möglichst gut gesichertes Wissen überführt.
Knowledge is justified true belief (JTB).
Da Entscheidungsprozesse auch innerhalb von Organisationen tagtäglich stattfinden, kommt hier unserer Disziplin Wissensmanagement eine ganz besondere Bedeutung zu. Wir müssen darauf hinweisen, dass neben den klassischen Handlungsfeldern Wissensspeicherung (knowledge as stock) und Wissensfluss (knowledge as flow) auch die wissensbasierung von strategischen Entscheidungen erfolgskritisch ist und weitreichende Konsequenzen hat. Die Professoren Jeffrey Pfeffer und Robert Sutton nennen das Evidence Based Management, eine andere Vokabel für die oben genannte Wissensbasierung von Entscheidungen oder auch einfach Strategisches Wissensmanagement.
In Organisationen wird meiner Erfahrung nach der Entscheidungsprozess immer noch stark schwar-weiß diskutiert: entweder einer entscheidet oder alle entscheiden. Doch zwischen schwarz und weiß gibt es ja bekanntlich viel grau und das sollten wir im Wissensmanagement mal genauer betrachten. Ich werde mal wieder die Ausgabe der Zeitschrift für Organisationsentwicklung mit dem Schwerpunkt Partizipation hervorholen. Dort gibt es einen sehr guten Artikel mit dem Titel Hat denn überall der Boss das letzte Wort? Ein Streifzug durch die Partizipationsforschung.
Was denkt Ihr, wäre das ein lohnenswertes Thema für die Disziplin Wissensmanagement? Nachdem hier im Blog die Kommentare deaktiviert sind, habe ich einen Diskussionsbeitrag in der Gruppe Wissensmanagement auf Xing angelegt.