“Old Normal“: Zahnräder im Kopf – Braucht es neue Bilder für Wissenstransfer?

Eine nicht so leichte Reise in ein „New Normal“ von Wissenstransfer-Icons

Annette Hexelschneider, Gabriele Vollmar, Mareike Grund, Tanja Krins

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Haben Sie Zahnräder im Kopf? 

Es sind die Neuronen und die damit verbundenen Fähigkeiten unseres Gehirns, die uns wissen, denken und handeln lassen. Diese Überzeugung teilen wir in der Gesellschaft für Wissensmanagement e. V. (GfWM). Niedergelegt ist dies unter anderem im D-A-CH Wissensmanagement Glossar der GfWM: „Wissen entsteht durch einen individuellen Prozess der Veränderung kognitiver Strukturen und ermöglicht Handlungen. Wissen im engeren Sinn ist immer an Personen gebunden.“ In diesem Sinne versteht die GfWM unter Wissenstransfer die „Weitergabe von erworbenem Wissen“. (1)

Doch die Bildsuche von Internetsuchmaschinen zeigt zu Wissenstransfer eine Welt aus dem Beginn der Industrialisierung, wo noch wenig zur Arbeitsweise des Gehirns bekannt war. Zahnräder in Köpfen dominieren oder man erblickt zwischen Köpfen hin und her fliegende Zahnräder. Außerdem sieht man aufgeklappte Köpfe, in die jemand etwas hineinfließen lässt. Sieht in unseren Zeiten so gelingender Wissenstransfer aus? Sind Menschen zahnradbasierte Maschinen? Und ein paar zusätzliche Zahnräder ermöglichen ihnen neue Handlungen? Es ist leider auch nicht nur die Bildsuche, die betroffen macht. Interessante und relevante Publikationen zu Wissenstransfer scheinen sich hinsichtlich der gewählten Cover-Illustrationen und ihrer inhaltlichen Aussagen selbst zu widersprechen.

Wider ein technisches Abbild

Ja, es ist sehr schwierig, ganz generell den Wissensbegriff zu visualisieren. Wir finden, dies zeigt, wie großartig Wissen als Objekt ist. Doch sollten wir deshalb ein „Very Old Normal“ von Metaphern bzw. Icons für den Wissenstransfer nutzen? Stellen wir uns da nicht ein Bein in unserem Anspruch zur Arbeit mit Wissen heute? Und wie sehr lenken Metaphern unsere Beschäftigung mit Problemen und Lösungen, unseren Umgang und unser Verständnis von Wissen? Daniel G. Andriessen hat mehr als 22 unterschiedliche Metaphern im Kontext des Begriffs „Wissen“ identifiziert. (2) Deren Gebrauch ist nicht nur kontextabhängig und sozio-kulturell verschieden, sondern bereits innerhalb ein-und-derselben Organisation kann eine unterschiedliche, gruppenspezifische Wahrnehmung von Begriffen beobachtet werden.  Andriessen erläutert hierzu das Beispiel einer Organisation, deren Mitglieder aus zwei vorgegebenen Bildern („Wasser“ und „Liebe“) eines als Metapher für Wissen auswählen sollten. Während die Führungskräfte mehrheitlich „Wasser“ auswählten, entschieden sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für „Liebe“. (3)

Die Verwendung von Metaphern „menschelt“ also sehr. Nun hat uns gerade die Pandemie sehr deutlich gezeigt, wie sehr wir alle Menschen sind, mit allem, was uns als Mensch ausmacht. Nutzen wir diese Erinnerung und ändern wir die Sichten auf Wissenstransfer und dessen Visualisierung! 

Auf ins „New Normal“ 

Die dafür nicht so leichte Reise in ein „New Normal“ von Wissenstransfer-Icons beginnt mit einer Session auf dem GfWM-KnowledgeCamp (GKC) 2020. Dabei haben die Teilnehmenden einen ersten Versuch unternommen, mit Assoziation für Wissenstransfer neue Icons zu finden. Es entsteht ein breites Spektrum für Wissenstransferaspekte wie Kennzeichen, Motivation, Lernumgebung und mehr. Nach 45 Minuten ist der Session-Vorhang zu und sind viele neue Fragen offen. Annette Hexelschneider und Mareike Grund beschließen, hier nicht aufzuhören. Tanja Krins und Gabriele Vollmar schließen sich dem Weiterdenken an. 

Ausgehend von den Denkanstößen des GKC 2020 erfassen sie zunächst ihre Motivation und die Zielsetzung einer gemeinsamen strukturierten Betrachtung und Auswahl von Icons zur Visualisierung. Dazu werden als Brainstorming in einer 4-Felder-Matrix „Wünsche und Ziele“, „Ideen zum Vorgehen“, persönlich geschätzte Definitionen von „Wissen“ und von „Wissenstransfer“ festgehalten.

Im Ergebnis besteht Konsens, dass der reine Technikbezug und eine werkzeugorientierte Betrachtung von Wissen nicht zielführend sein können. Wissen lässt sich nicht in einer Datenbank erfassen, Wissenstransfer ist kein endlicher Prozess, Wissen ist ganz im Sinne des „New Normal“ ein organischer, ein dynamischer Prozess. Die Einbeziehung künstlicher Intelligenz in die Prozesse wird als unterstützendes Element mit aufgenommen. Daraus leiten sich drei Szenarien des Umgangs mit Wissen ab: Wissenstransfer, Wissenteilen, Wissensaufbau.

Doch wie lässt sich Wissen visualisieren? Und nach welchen Kriterien kann eine Visualisierung erfolgen? Diesen Fragen folgend haben wir zunächst Elemente eines Grundmodell-Icons und Attribute seiner Ausprägung gesammelt.

Grundmodell-Icon

Das Grundmodell enthält zunächst einmal neben „Wissen“ auch dessen „Austausch“ und die prozessuale Veränderung („Dynamik“, „Zuwachs“/ „Entwicklung“/ „Lernen“).

Daraus lässt sich die Vision eines Umgangs mit Wissen entwickeln, die grundsätzlich organisch und menschlich zugewandt ist. Sie ist nicht statisch und bildet Vielfalt ab. Ihre Ausprägungen beruhen auf einer willentlichen Entscheidung und den (passenden/ förderlichen) Rahmenbedingungen. Künstliche  ntelligenz wird als ein unterstützendes Element miteinbezogen.

Schließlich sind für die visuelle Umsetzung die Anforderungen an die Verwendung in der Praxis festgehalten (stilisiert, sw/Farbe, groß/klein, digital/analog nutzbar, mit/ohne Text, …).

Erste Iconentwicklung

In einem zweiten Schritt wird basierend auf diesen Vorüberlegungen und unter Einbeziehung externer Entwürfe aus einem Studierendenprojekt für die drei Szenarien „Wissenstransfer“, „Wissenteilen“ und „Wissensaufbau“ ein Portfolio verschiedener Iconvarianten individuell entwickelt, betrachtet und hinsichtlich ihrer Assoziationsfähigkeit bewertet. Als Ergebnis liegt eine erste Vorauswahl unterschiedlichster Darstellungen von abstrakt bis kleinteilig, zuweilen farblich gestaltend, aber auch mit Textelementen vor.

In der folgenden Bewertung zeigt sich einerseits, dass klar strukturierte, abstrahierende Darstellungen grundsätzlich eine größere Akzeptanz erfahren als sehr detaillierte, stark kontextbezogene Entwürfe. Andererseits findet sich für kein Szenario eine eineindeutige Visualisierung. Während die eigentliche Handlungsaktion („Teilen“, „Transfer“, „Aufbau“) übereinstimmend abgebildet werden kann, ist das Objekt stets mehrfach assoziationsfähig. Auffällig ist die Einbeziehung von Textkomponenten im Sinne einer vermeintlichen Klarheit, die jedoch ihrerseits (Abkürzungen, Mehrsprachigkeit) in der Praxis keinen dauerhaften Bestand hat.

Ausgehend von dieser Erkenntnis werden die Icons mit der größeren Akzeptanz für die weitere Bearbeitung ausgewählt. Sie dienen als Basis für eigene Fortentwicklungen und Varianten. Als Ergebnis liegt ein neues Icon-Set als Vorauswahl für den weiteren Prozess vor.

Proof-of-Concept

Diese Vorauswahl  wird nun einem Proof-of-Concept unterzogen. Dazu werden von jeder bewertenden Person je Szenario maximal drei Icons ausgewählt und anhand der Kriterien des Grundmodell-Icons abgeprüft. Die Bewertungen werden jeweils mit entsprechenden Erläuterungen dokumentiert und anschließend alle Bewertungstabellen zusammengeführt. Die nachstehende Tabelle zeigt exemplarisch das Vorgehen.

Tabelle (zum Vergrößern klicken)

In einem erneuten Auswahlprozess werden anhand der Bewertungen und Erläuterungen diejenigen Icons ermittelt, die die meiste positive Resonanz erfahren. Trotz der unterschiedlichen fachlich-persönlichen Prägung der bewertenden Personen sind auch hier wieder Bewertungscluster erkennbar.

Nebenstehende Icons werden als Zwischenergebnis für die weitere Validierung festgehalten. Dabei ergeben sich im Ergebnis für jedes Szenario je zwei alternative Icons.

Validierung durch Erweiterung des Rezipientenkreises

In einer weiteren Iteration werden diese Zwischenergebnisse anhand einer Umfrage in der DACH-Region zur Überprüfung und Kommentierung bereitgestellt. Die Umfrage richtet sich an einen Personenkreis sowohl aus dem Umfeld der GfWM als auch an weitere Personen aus der Praxis des Wissensmanagements und dem akademischen Umfeld.

Ziel ist es, einen Eindruck zu erhalten, ob sich die in den bisherigen Gesprächen gewonnenen Erkenntnisse auch in der GfWM-Community widerspiegeln. Es geht um die Visualisierung von Wissen, die verwendete Symbolik, die unterschiedlich eingesetzten Icons und deren Aussagefähigkeit. Aus den Rückmeldungen soll ein Set möglicher geeigneter Icons abgeleitet werden, welches praxistauglich ist.

Die Autorinnen werden die erhaltenen Rückmeldungen aufgreifen und an ihnen die getroffene Vorauswahl spiegeln. Die Umfrage sieht nicht nur Bewertungsoptionen vor, sondern explizit auch Kommentierungs- und Erläuterungsmöglichkeiten. 

Die Ergebnisse dieser weiteren Rückkopplung und Überarbeitung werden wir auf dem GfWM-KnowledgeCamp 2021 vorstellen. 

Zugleich freuen wir uns zu erfahren, welche Erfahrungen Sie, liebe Leserschaft, mit dem „New Normal“ von Wissenstransfer-Icons machen. Haben Sie noch „Zahnräder im Kopf“ oder nutzen Sie bereits erfolgreich andere Darstellungen – und falls ja, welche und in welchem Kontext setzen Sie sie ein? Wir sind gespannt auf Ihre Beiträge!


Quellen:

(1) Bornemann, Manfred (Hsg.), Kraus, Pavel (Hsg.), Alwert, Kay, Matern, Andreas, Reimer, Ulrich, Kaiser, Rene (2020) D-A-CH -Wissensmanagement Glossar 2020.  

(2) Andriessen, D. (2011), Metaphors in knowledge management. Syst. Res., 28: 133-137. https://doi.org/10.1002/sres.1077

(3) Andriessen, Daniel G., Stuff or love? How metaphors direct our efforts to manage knowledge in organisations. In: Knowledge Management Research & Practice (2008) 6, 5–12. 

Weiterführende Literaturhinweise zum Umgang mit Wissen und Metaphern: Andriessen, Daniel & Kliphuis, Eja & Mckenzie, Jane & Winkelen, Christine, Pictures of Knowledge Management, Developing a Method for Analysing Knowledge Me- taphors in Visuals. Electronic Journal of Knowledge Management. (2009).


Bildrechte: Alle Abbildungen im Beitrag wurden von den Autorinnen entwickelt. Rechte bei den Autorinnen. Geplant ist, die Icons nach dem Feedback (Umfrage, GFWM-Knowledge Camp) – entsprechend bearbeitet – frei zur Verfügung zu stellen.


Dipl-Ing.in Annette Hexelschneider ist Expertin für wirkungsvolles Wissen mit langjähriger Erfahrung in vielen Branchen. Sie vermittelt in der Lehre (Fachhochschulen), in Weiterbildungen, mit Publikationen und in Projekten die Kompetenzen, zielorientiert Fachwissen und Daten zu filtern, verständlich visuell aufzubereiten und nachhaltig zu transferieren, in Österreich, Deutschland und darüber hinaus.

Dipl.-Kff. Tanja Krins verfügt über langjährige Erfahrung mit interdisziplinären & interkommunalen Projekten zu Themen der Verwaltungsmodernisierung, Digitalisierung, interkommunalen Zusammenarbeit und Geschäftsprozessoptimierung. Sie ist seit 2004 Mitglied der Gesellschaft für Wissensmanagement e. V. und leitet dort nach 6 Jahren Tätigkeit im Vorstand (2010-2016) die Fachgruppe Digitale Transformationsprozesse. Ihr Interesse gilt vor allem den Chancen und der Umsetzung Digitaler Transformationsprozesse, auch mit Blick auf die benötigten Kompetenzen und den Kulturwandeln in der Verwaltung.

Mareike Grund, gebürtige Stuttgarterin, studierte nach einem Aufenthalt in den USA BWL mit Schwerpunkt Marketing und Destinationsmanagement. Seit ca. 10 Jahren ist sie bei der EXEC IT Solutions GmbH, als Vertriebsleitung für die Kollaborationslösung Cocuun. Seit Beginn des Projekts war sie aktiv bei der Weiterentwicklung der Anwendung beteiligt. Sie berät Vereine und Organisationen zum Thema digitale Zusammenarbeit, Wissensmanagement und Organisation.

Gabriele Vollmar beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit Fragestellungen rund um Wissensmanagement, seit 16 Jahren als Unternehmensberaterin. Sie ist Mitglied im Fachbeirat der GfWM, hat mehrere Lehraufträge zu Wissensmanagement und ist Autorin zahlreicher Publikationen.


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Über diesen Beitrag Text: Annette Hexelschneider, Gabriele Vollmar, Mareike Grund, Tanja Krins · Redaktion: Stefan Zillich, Andreas Matern · Abbildungen: Header: shasoft / pixabay.com; fachliche Abbildungen: die Autorinnen · Editorial Design: Stefan Zillich, re:Quest Berlin · Veröffentlicht in: Kuratiertes Dossier „Wissensmanagement – New Normal“, Online Magazin StartseiteGedruckte Ausgabe bestellen · Über die Reihe „Das Kuratierte Dossier“ · © AutorInnen / GfWM e. V. 2021 · Kontakt zum Redaktionsteam